(Stand: März 2022)
Vorwort
Wer Veranstaltungen durchführt hat das Interesse, dass alle Teilnehmer*innen sich auf diesen Veranstaltungen wohlfühlen und eine gute Zeit haben. Leider gibt es immer wieder Personen, deren Verständnis von „eine gute Zeit haben“ andere darin beeinträchtigt, diese zu haben. Dies kann z. B. durch übergriffiges/grenzüberschreitendes und/oder diskriminierendes Verhalten geschehen. Dieses Konzept hilft euch dabei, als Veranstalter*innen Rahmenbedingungen zu schaffen, die eine gute und entspannte Atmosphäre ermöglichen.
Bei diesem Konzept handelt es sich um eine Empfehlung des Verbandes.
Begriffsklärung
Unter Definitionsmacht versteht man das Konzept, das – aufgrund von individuell verschieden erlebter und wahrgenommener Gewalt – nur von der betroffenen Person definiert werden kann. Sie entscheidet wann Gewalt anfängt, Grenzen überschritten werden und was als Gewalt wahrgenommen wird. Somit sollte auch das Benennen von Gewalt/einer Grenzüberschreitung durch die betroffene Person unter keinen Umständen in Frage gestellt werden. Unabhängig davon, wie der Übergriff aussah oder wie ihr ihn vielleicht wahrgenommen habt: wenn die betroffenen Person es als Gewalt/Übergriff bezeichnet ist dies unbedingt zu respektieren. Außerdem sollte der betroffenen Person auf keinen Fall durch z. B. Fragen nach Details des Übergriffs, ständiger Bitte um erneute Schilderung o. Ä. die Wahrnehmungsfähigkeit abgesprochen werden
Eine Diskriminierung ist die Benachteiligung von Menschen aufgrund eines oder mehrerer Merkmale, wie z. B. Behinderung, Herkunft, Hautfarbe, Religion, politische Betätigung, Alter, Geschlecht oder sexuelle Identität. Diskriminierung ist das Ergebnis, unabhängig vom Motiv oder vom Vorliegen eines Vorsatzes. Auch Gedankenlosigkeit oder eine bislang gelebte Vorgehens- oder Redeweise kann eine solche Diskriminierung bedeuten.
Eine Belästigung liegt vor, wenn unerwünschte Verhaltensweisen, die mit einer oder mehrerer unter Diskriminierung genannten Kategorien in Zusammenhang stehen, bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.
Unter Mobbing wird eine konfliktbelastete Kommunikation verstanden, bei der die angegriffene Person unterlegen ist und von einer oder mehreren Personen systematisch, oft und über einen längeren Zeitraum mit dem Ziel oder dem Effekt des Ausstoßes aus der Gemeinschaft direkt oder indirekt angegriffen wird.
Unbeteiligte werden aufgefordert, bei Diskriminierung, Belästigung und Mobbing nicht wegzuschauen, sondern den Betroffenen Hilfe anzubieten und sie bei einer Lösungsfindung zu unterstützen
Handlungsempfehlungen
Vorbereitung
Wenn ihr das Awareness-Konzept umsetzen wollt, sollten einige Dinge vor euerer Veranstaltung geklärt und organisiert werden:
- Organisiert Schutzräume für Betroffene und kennzeichnet diese
- Legt fest, wer Ansprechpartner*innen sind und wo diese zu finden sind
- Findet ein Codewort für Hilfesuchende (z. B. „Ist Luisa hier?“) und bezieht unbedingt die Thekenschicht/
Orga/Empfang mit ein; die müssen wissen, wer Ansprechpartner*innen sind und wie diese schnell zu erreichen sind (Handy, Funkgeräte) - Die Ansprechpartner*innen sollten nüchtern sein
- Achtet darauf, dass wenn möglich auch Frauen und nicht männlich gelesene Personen als Ansprechpartner*innen vertreten sind
- Auf den Veranstaltungen sollte es Aushänge über Awareness generell, die Ansprechpartner*innen und die Orte geben, wo man Hilfe findet
- Informiert euch vorab über professionelle Unterstützungsmöglichkeiten
- Informiert euch vorab über alternative Übernachtungsmöglichkeiten für betroffene Personen
Konkrete Situationen
1. Du wirst von einer anderen Person auf eine grenzüberschreitende Situation hingewiesen
- Überlege, ob du die geeignete Person bist, in die Situation hineinzugehen oder ob du jemanden ansprichst
- Werde selbst aktiv und gib die Verantwortung nicht wieder an die beobachtende Person zurück
- Wenn du die betroffene Person ansprichst siehe weiter ab Punkt 2
2. Du selbst nimmst eine Situation als grenzüberschreitend/übergriffig wahr
- Überlege ob du die geeignete Person bist, um in die Situation hineinzugehen oder ob du jemanden ansprichst
- Frage die betroffene Person nach ihrem Befinden (z. B. Ist alles ok? Geht es dir gut mit der Situation?)
- Wenn du die betroffene Person ansprichst, erkläre ihr kurz, warum und was du als Grenzüberschreitung wahrgenommen hast
- Beachte aber, dass du deine Wahrnehmung der betroffenen Person nicht aufdrängst; vielleicht nimmt sie die Situation ganz anders wahr
- Hör der betroffenen Person zu und nimm sie ernst
- Beachte die Wünsche und Bedürfnisse der betroffenen Person und stelle deine eigenen hinten an (wenn sie z. B. keinen Rausschmiss der beschuldigten Person wünscht, respektiere das; sprecht es zudem mit der betroffenen Person ab, wenn ihr vorhabt, die Polizei zu rufen; es ist wichtig, dass die betroffene Person die Kontrolle über die Situation hat)
- Biete Unterstützung an, z. B. ein Gespräch oder eine Möglichkeit, aus der Situation herauszukommen. Frage sie, ob sie sich zurückziehen möchte (z. B. in den Rückzugsraum)
- Wenn die betroffene Person keine Unterstützung wünscht, respektiere das und biete einen konkreten Ort an (z. B. soll sie sich an der Theke melden), wo sie – auch später noch- Unterstützung bekommen kann, wenn sie es möchte
- Versuche trotzdem, die Person ein wenig im Auge zu behalten, um im Zweifel noch einmal Unterstützung anbieten zu können.
- Wenn die betroffene Person Unterstützung möchte siehe weiter ab Punkt 3
3. Eine betroffene Person kommt auf dich zu und möchte Unterstützung
- Hör der betroffenen Person zu und nimm sie ernst
- Sei zurückhaltend mit Körperkontakt, es sei denn, er ist von der betroffenen Person ausdrücklich erwünscht
- Überlege ob du die geeignete Person bist oder ob du jemanden dazu holst
- Frage nach den Bedürfnissen der betroffenen Person (Was brauchst du? Was möchtest du gerade?)
- Beachte die Wünsche und Bedürfnisse der betroffenen Person und stelle deine eigenen hinten an (wenn sie z. B. keinen Rausschmiss der beschuldigten Person wünscht, respektiere das; es ist wichtig, dass die betroffene Person die Kontrolle über die Situation hat)
- Erkläre, dass in der Unterstützung nur das passiert, was die betroffene Person wünscht; alles wird mit ihr abgesprochen
- Frage die betroffene Person, ob sie eine Vertrauensperson dabei haben möchte
- Suche einen Ort, wo in Ruhe ein Gespräch stattfinden kann (z. B. Rückzugsort)
- Hör zu, wenn die betroffene Person erzählen möchte
- Sei vorsichtig mit Fragen; die betroffene Person soll nicht das Gefühl bekommen sich rechtfertigen zu müssen; vielleicht ist ihr auch unangenehm oder peinlich, was passiert ist
- Lass dir und der betroffenen Person viel Zeit (in Krisen ist „Tempo rausnehmen“ total wichtig).
- Biete Möglichkeiten konkreter Unterstützung an, z. B.:
- Wenn die betroffene Person bleiben möchte, kläre mit ihr, was sie dafür braucht
- Vielleicht möchte sie, dass immer jemand in ihrer Nähe ansprechbar ist oder dass andere Leute der
beschuldigten Person eine Ansage machen, die betroffene Person in Ruhe zu lassen oder dass die
beschuldigte Person die Situation/Veranstaltung verlassen soll - Biete an, dass die betroffene Person sich nicht selbst mit der beschuldigten Person auseinandersetzen
muss, sondern dass dies jemand anderes für sie tun kann - Biete professionelle Unterstützungsmöglichkeiten an
- Schaffe eine sichere Übernachtungsmöglichkeit für die betroffene Person, z. B. Taxi, Hotel, private
Übernachtung
Grundsätzlich gilt: gib niemals der betroffenen Person die Schuld für übergriffiges/diskriminierendes Verhalten oder sexualisierte Gewalt! Achtet auf euch selbst. Wenn ihr euch der Situation nicht gewachsen fühlt, gebt die Verantwortung lieber an eine andere Person ab oder sucht euch Unterstützung.
Umgang mit der eines Übergriffs beschuldigten Person
Sprecht die übergriffige Person, möglichst unter Ausschluss der Öffentlichkeit, an und weist sie auf ihr Verhalten hin. Gebt der Person die Möglichkeit einer ausführlichen Stellungnahme. Je nach Situation kann es sinnvoll sein, der Person zu erklären, dass ein Platzverweis möglich ist, wenn sie ihr Verhalten nicht ändert. Wie oder wann ein Platzverweis erfolgt, ist von den lokalen Gegebenheiten abhängig und muss individuell für jede Veranstaltung entschieden werden. Bei gravierendem Fehlverhalten kann es auch zum Ausschluss aus dem Club, der Region oder dem Verband kommen.
Aufarbeitung der Vorfälle
Je nach Schwere der Vorfälle kann es nötig sein, diese nachträglich in den betroffenen Clubs, der Region oder im Verband zu besprechen.
Appell
Seid immer auf der Seite der Betroffenen und sichert ihnen zuallererst euer Vertrauen zu. Dies ist besonders wichtig, da bei einem Vorfall, bei dem es zu grenzüberschreitendem Verhalten gekommen ist, Vertrauen meist verloren gegangen ist. Neben genommenem Vertrauen wurde auch ein zuvor als sicher empfundener Raum plötzlich zerstört. Diesen gilt es wieder herzustellen. Um dies zu schaffen, solltet ihr im wahrsten Sinne des Wortes Partei ergreifen, und zwar für die betroffene Person. Das heißt, ihr solltet euch auch innerlich auf die Seite der Person schlagen und dies konsequent und aktiv nach außen richten.
Eine “neutrale” Haltung in einer solchen Situation ist praktisch nicht möglich und auch nicht sinnvoll. Sie schadet am Ende nur der betroffenen Person und schützt die beschuldigte Person. Denn jede Art des Hinterfragens oder auch nur “nett gemeinte” Nachfragen bringen die betroffene Person in eine Position, in der sie sich rechtfertigen muss und ihre Schilderung infrage gestellt wird. Dies solltet ihr unter allen Umständen vermeiden!
Solltet ihr merken, dass ihr euch nicht in der Lage fühlt, euch auf die Seite der betroffenen Person zu stellen und für sie Partei zu ergreifen, solltet ihr anderen Personen die Aufgabe übertragen und euch zurückziehen.
Epilog & Weiterentwicklung
Dieses Konzept unterliegt einem ständigen Lernprozess und bedarf stetiger gemeinsamer Überarbeitung innerhalb des Verbandes. Deshalb sind Änderungen des Konzepts über eine Abstimmung mit einer einfachen Mehrheit bei einer Verbandsratssitzung oder beim Verbandstreffen möglich.
Die AG Awareness plant zukünftig Präventionsangebote, wie Workshops und Diskussionsrunden. Bei Fragen, Unterstützung bei der Planung eurer Veranstaltungen oder konkreten Situationen wendet euch bitte an die AG Awareness unter kw-awareness@listi.jpberlin.de. Wir helfen euch gerne!
Dieses Konzept basiert auf Grundlage folgender Konzepte:
- Sexualisierte Belästigung am Arbeitsplatz verhindern! Ein Handlungsleitfaden für betriebliche Interessenvertretung vom DGB, https://www.dgb.de/themen/++co++18b9e958-d407-11e6-89f4-525400e5a74a
- Richtlinie zur Prävention und zum Umgang mit Fällen von Diskriminierung, Belästigung und sexueller Belästigung an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) und dem Universitätsklinikum Erlangen (UKER), https://www.frauenbeauftragte.med.fau.de/files/2021/11/210526_richtlinie_deutsch_diskriminierung_sexuelle_belaestigung_final.pdf
- Awareness Leitfaden für Partys vom autonomen feministischen Kollektiv der Universität Hannover und die SB-Stelle Frauen- und Geschlechterpolitik des AStA, http://afk.blogsport.de/images/Leitfaden.pdf