Spätestens im letzten Sommer dürften wohl die meisten auf die Rolle des verbrecherischen Islamischen Staats (IS) in Syrien und dem Irak aufmerksam geworden sein. Die Peschmerga (die Truppen der korrupten Barzani Regierung in den kurdischen Autonomiegebieten im Irak) wichen aus politischem Kalkül vor dem anrückenden IS zurück und überließen die Jesiden ihrem Schicksal. Tausende von Jesiden wurden vom IS ermordet, hunderte jesidische Frauen und Mädchen wurden vom IS entführt und zu Sklavinnen gemacht, bzw. zwangsverheiratet. Die Überlebenden flüchteten sich in das Shingal Gebirge, wo sie dem Verdursten ausgesetzt waren. Nicht die Peschmerga, die von der BRD mit Waffen unterstützt werden, sondern Truppen der PKK, die in Deutschland immer noch als Terrororganisation eingestuft wird, und die KämpferInnen der mit ihr verbündeten PYD (YPG/YPJ Volksverteidigungseinheiten/ Frauenverteidigungseinheiten) aus Syrien kämpften einen Korridor frei und ermöglichten Tausenden von Jesiden die Flucht.
Wenig später, am 15.09.2014, rückte der IS auf die kurdische Stadt Kobanê in Nordsyrien vor und versuchte, die Stadt einzunehmen. Kobanê liegt in dem Kanton gleichen Namens und gehört wie die beiden anderen Kantone Cizîr und Efrîn (es gibt auch andere Schreibweisen) zum überwiegend von Kurden bewohnten Gebiet Rojava (Westkurdistan).
In Rojava findet ein bemerkenswertes gesellschaftliches Projekt statt. Inspiriert durch den Anarchisten Murray Bookchin und seine Schriften über den Libertären Kommunalismus wurde in dem Machtvakuum, das durch den Rückzug der syrischen Streitkräfte infolge des Bürgerkriegs entstanden war, eine Gesellschaft aufgebaut, die sich basisdemokratisch selbst verwaltet.
“Es gibt die „demokratische Selbstverwaltung“, die alle Formen und Insignien eines Staates hat – Parlamente, Ministerien, und so weiter – doch die wurden bewusst so geschaffen, dass sie von der Vollzugsmacht [Anm. Exekutive] getrennt sind. Dann gibt es TEV-DEM (Bewegung für eine Demokratische Gesellschaft), von unten nach oben arbeitende Institutionen direkter Demokratie. Schließlich, und das ist das Entscheidende, sind die Sicherheitskräfte rechenschaftspflichtig gegenüber den von unten nach oben gerichteten Strukturen, und nicht umgekehrt. Einer der ersten Orte, die wir besucht haben, war eine Polizeiakademie (Asayis). Alle mussten Kurse in gewaltloser Konfliktregelung und feministischer Theorie belegen, bevor sie eine Waffe berühren durften. Die Ko-Direktoren erklärten uns, dass ihr Endziel wäre, dass jeder im Lande sechs Wochen Polizeitraining erhält, damit sie die Polizei letztendlich abschaffen könnten.” (David Graeber: „Das ist eine echte Revolution“).
Eine große Rolle spielen dabei die Frauen. Die Emanzipation der Frauen wird als wesentliche Voraussetzung für die Umgestaltung der Gesellschaft angesehen: “Die Frauen können sich frei und alle Angelegenheiten betreffend in die Gesellschaft sowie in die Politik eingliedern und einbinden. Mädchen und Jungen haben beide die Möglichkeit, sich weiterzubilden. Sie dürfen uneingeschränkt einen Beruf wählen. Gewalt gegen Frauen ist verboten. Eine Frau, die Opfer von häuslicher Gewalt wird, darf das Problem zu einer öffentlichen Versammlung bringen, wo es diskutiert und der Fall untersucht wird. Vor allem können sie aber am öffentlichen Leben teilhaben. In Rojavas Verwaltung und Gremien besteht eine 40 prozentige Frauenquote. Die Institutionen haben nicht nur einen einzigen Leiter— zwei Co-Präsident/Innen sind verpflichtend, ein Mann und eine Frau sollen es sein. Rojavas militärische Verteidigungsstreitkräfte und die Asayish (Polizei) bestehen aus Einheiten der Männer (YPG) und Einheiten der Frauen (YPJ).” (Janet Biehl: Rojava-Modell – „Arm an Mitteln, aber reich an Geist”).
Rojava versteht sich als multi-ethnisches und multi-religiöses Projekt. Hier leben nicht nur Kurden, sondern auch Araber, Aramäer, Assyrer, Tschetschenen und viele andere Volksgruppen mehr. An Religionen sind Moslems, Aleviten, Jesiden, Christen und Atheisten vertreten. Alle diese Gruppen leben gleichberechtigt zusammen. Für Posten in der Verwaltung gibt es entsprechende Quotierungen. Rojava will keinen unabhängigen Nationalstaat gründen, sondern sich innerhalb eines freien Syrien selbst verwalten.
Die Türkei (bzw. die Erdogan Administration) spielt in der ganzen Geschichte eine üble Rolle: Sie hat alle Grenzen zu Rojava geschlossen und bemüht sich, Rojava zu isolieren und von Handel und Versorgung abzuschneiden. Darüber hinaus unterstützt sie nach wie vor den IS mit Waffenlieferungen, Nachschub und Ölankäufen. Außerdem bietet sie den IS Terroristen ein Rückzugsgebiet, in dem sich Verletzte behandeln lassen können, neue Terroristen angeworben werden und Dschihadisten aus Europa empfangen und nach Syrien gebracht werden. Offiziell hat sich die Türkei zwar dem Bündnis gegen den Terror angeschlossen, aber obwohl es zahlreiche Beweise für ihre fortdauernde Unterstützung des IS gibt, ignorieren die westlichen Staaten das und üben weiterhin keinen Druck auf die Türkei aus, das sein zu lassen. Die Türkei hat zwar hunderttausende Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen, unterdrückt aber politische Äußerungen der Flüchtlinge und hindert sie daran, Solidarität mit Rojava zu praktizieren. Bei den Polizeieinsätzen gegen die Flüchtlinge und die Menschen, die schon vorher im türkischen Kurdengebiet lebten, werden immer wieder Menschen erschossen. Die internationale Rojava Solidaritätsbewegung fordert von der Türkei, ihre Unterstützung für den IS einzustellen, die Grenzen zu Rojava zu öffnen.
Als der IS im September 2014 Kobane angriff, waren die Verteidigerinnen und Verteidiger dem IS in jeder Hinsicht unterlegen, besonders was die Bewaffnung anbelangt. Während der IS mit schweren Waffen (inklusive Panzer und Artillerie) angriff, hatten die YPG/YPJ hauptsächlich alte Kalaschnikows und kaum Panzerabwehrwaffen. Niemand hätte einen Blumentopf darauf gesetzt, dass sie ihre Stadt würden verteidigen können. Doch sie schafften es. Alles was sie in die Waagschale zu werfen hatten, war ihr Mut der Verzweiflung. Sie hatten beschlossen, sich, ihre Angehörigen und ihre Stadt zu verteidigen oder zu sterben, eine Alternative blieb ihnen nicht. Im vergangenen Jahr sind nach Angaben der YPG/YPJ 537 von ihnen bei Kämpfen ums Leben gekommen und es ist klar, dass es wesentlich weniger gewesen wären, wenn sie besser ausgerüstet gewesen wären. Der IS besetzte zeitweise mehr als 50% der Stadt und drang ins Stadtzentrum vor, doch schließlich gelang es der YPG/YPJ, die Angreifer zurückzudrängen. Am 26. Januar verkündete die YPG, dass die Stadt, auch mit Hilfe der US-Amerikanischen Luftangriffe, komplett befreit sei. KurdInnen und ihre FreundInnen inaller Welt feierten die Befreiung enthusiastisch.
Der Verband der Motorradclubs “Kuhle Wampe” hat auf seinem Verbandstreffen Ende Januar 2015 beschlossen, die Initiative „“Solidarität mit Rojava, die vom Verband der Studierenden aus Kurdistan (YXK) und der Interventionistischen Linke (IL) ins Leben gerufen wurde, mit 1.000 Euro zu unterstützen. In der Diskussion gab es Vorbehalte, weil die Unterstützung auch evtl. dazu verwendet werden könnte, Waffen zu kaufen. Es setzte sich aber die Meinung durch, dass wir das Projekt Rojava als unterstützenswert und vorbildlich betrachten und ein solidarisches Verhältnis zu ihnen haben wollen. Solidarität duldet keine Hierarchien und deshalb wollen wir die Menschen in Rojava nicht bevormunden. Wir sind nicht moralisch besser und wir vertrauen darauf, dass die Genossinnen und Genossen selbst am besten wissen, wofür sie die Unterstützung am sinnvollsten ausgeben. Wir gehören nicht zu denen, die die Bevölkerung ganzer Regionen für zu dumm und ungebildet hält, um selbst Entscheidungen für sich zu treffen und die von Europa aus besser wissen, was für die Menschen vor Ort gut ist.
Wichtiger als die finanzielle Unterstützung ist für uns, ein politisches Statement zu setzen. Wir wollen öffentlich machen, dass wir die Revolution in Rojava und auch die Forderungen der Solidaritätsbewegung unterstützen.
Für weitere Informationen:
- rojava-solidaritaet.net
- Christian Zeller: Symbol des Widerstands und des Kampfs für Selbstbestimmung (PDF)
- civaka-azad.org/
- kurdischenachrichten.com
- ypg-rojava.com/en/